Der Einbezug von ESG-Ratings bei Unternehmens- oder Investmententscheidungen gewinnt immer mehr an Bedeutung
Im Jahr 2015 einigten sich bei der UN-Klimakonferenz in Paris 197 Staaten auf ein gemeinsames Klimaschutzabkommen. Ein Ziel des Pariser Abkommens ist es, Finanzmittelflüsse anzupassen und nach Klimazielen auszurichten. Eine Frage hierbei ist, wie Finanzmittel zu den nachhaltigsten Branchen, Unternehmen oder Projekten gelenkt und wie Nachhaltigkeitsrisiken erfasst und eingeschätzt werden können.
Unter Nachhaltigkeitsrisiken in den Bereichen Klima und Umwelt versteht man physische Risken und Transitionsrisiken. Physische Risiken des Klimawandels wie Umweltschäden wirken sich direkt auf Branchen und Unternehmen aus. Hierunter fallen beispielsweise Ernteausfälle beim Anbau von Getreide, Hülsenfrüchten und Ölsaaten durch Trockenheit und Hitze oder andere Extremwetterereignisse. Unter Transitionsrisiken versteht man Risiken, die durch die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft entstehen. Ein Beispiel hierfür sind die Umstellungskosten der Kraftwagenhersteller und Automobilzulieferer von Fahrzeugen mit herkömmlichen Verbrennungsmotoren auf Elektrofahrzeuge oder andere emissionsfreie Kraftfahrzeuge. ESG-Ratings, wie die von IBISWorld, können nun helfen, die Nachhaltigkeit einer Branche sowie deren Exponiertheit gegenüber Nachhaltigkeitsrisiken einzustufen.
Was beinhalten die ESG-Ratings von IBISWorld?
ESG ist die Abkürzung für die englischen Begriffe Environment, Social und Governance. ESG beinhaltet damit die Komponenten Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Die beziehen sowohl quantitative als auch qualitative Indikatoren zur Branchenbewertung mit ein. Zudem wird jeweils eine Schlüsselfrage zu den einzelnen ESG-Faktoren gestellt, die mit Kontext und Informationen versehen ist und somit einen Anknüpfungspunkt für Nutzer der IBISWorld ESG-Ratings in Gesprächen mit Unternehmen der behandelten Branche bilden kann. Die einzelnen ESG-Komponenten sind jeweils in fünf Indikatoren unterteilt, aus deren ESG-Ratings sich das gesamte ESG-Rating der Branche ergibt.
Liste der einzelnen ESG-Komponenten:
E(nvironment) |
S(ocial) |
G(overnance) |
· Umweltschutz |
· Gerechte Arbeitsbedingungen |
· Korruption |
· Energieeffizienz |
· Risiken der Wertschöpfungskette |
· Öffentliche Kontroversen |
· Treibhausgasemissionen |
· Arbeitssicherheit |
· Nachhaltigkeitsmanagement |
· Abfallerzeugung |
· Lohngerechtigkeit |
· Regulierung |
· Wasserverbrauch |
· Zusammensetzung der Belegschaft |
· Kollusion |
Bedeutung von ESG-Kriterien für Banken und Unternehmen
Die Europäische Union hat sich die Klimaneutralität bis 2050 zum Ziel gesetzt, während Deutschland bereits spätestens 2045 seine Treibhausgasneutralität erreichen will. Aus diesem Grund werden rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen, die umweltschädliches Verhalten und Produkte sanktionieren und den Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaft ebnen wollen. Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Finanzindustrie zu, die vermehrt Kapital nach ESG-Kriterien vergeben muss, statt rein renditeorientierte Entscheidungen zu treffen. Torsten Jäger, der Leiter des Geschäftsbereichs Nachhaltigkeit beim Bundesverband deutscher Banken, drückte es im Februar 2021 so aus:
„Nachhaltigkeit ist kein Nischenthema mehr“
Nicht nur ist Nachhaltigkeit kein Nischenthema mehr, sondern es ist durch die Finalisierung der Bankenvorschrift Basel III auch im Rechtsrahmen verankert. Banken müssen fortan als Teil ihres Risikomanagements ESG-Risiken systematisch ermitteln, offenlegen und steuern. Jedoch sind auch Unternehmen aus anderen Sektoren vom Thema Nachhaltigkeit im Allgemeinen bzw. von den ESG-Kriterien betroffen. So müssen beispielsweise kapitalmarktorientierte Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mehr als 40 Millionen Euro Umsatz oder einer Bilanzsumme von mehr als 20 Millionen Euro einen Nachhaltigkeitsbericht erstellen und veröffentlichen. Ab 2023 soll sich die Berichtspflicht auf weitere Unternehmen ausweiten.
Dass Unternehmen vom Thema Nachhaltigkeit oder im Speziellen von ESG-Kriterien bereits stark beeinflusst werden, zeigen die Umfrageergebnisse der Studie „Resilience Barometer: September 2021“ sowie der Studie „Resilience Barometer: Perspectives“ vom Januar 2022 der Unternehmensberatung FTI Consulting. 2021 gaben bereits 34 % der befragten Unternehmen aus den G20-Staaten an, unter extremem Druck zu stehen, ihre Performance in Bezug auf ESG-Kriterien und Nachhaltigkeit im kommenden Jahr zu verbessern. 2022 erhöhte sich dieser Wert auf 36 %. Bezieht man nur Unternehmen mit einem Umsatz von mindestens einer Milliarde US-Dollar ein, so gaben 2022 sogar 46 % der befragten Unternehmen an, einen hohen Verbesserungsdruck zu verspüren. Sogar 88 % der befragten Unternehmen gaben im aktuellen Jahr an, mehr Ressourcen für ESG und Nachhaltigkeit aufzuwenden, was die zunehmende Bedeutung dieser Themen deutlich macht.
Was sagen ESG-Ratings aus?
Aufgrund des stetig steigenden Umweltbewusstseins sowie der zunehmenden Zahl rechtlicher Vorgaben und Rahmenbedingungen sehen sich Wirtschaftsakteure von zwei Seiten mit ESG- und Nachhaltigkeitskriterien konfrontiert. Doch was zeigen die ESG-Ratings der verschiedenen Branchen auf? Nachhaltiges Wirtschaften zwingt die Branchenakteure dazu, sich anzupassen, löst einen Wandel des Wirtschaftens und Disruptionen aus, bietet aber auch immense Chancen, das eigene Unternehmen zukunftsfähig aufzustellen.
Insgesamt werden ESG-Faktoren immer weniger als Renditerisiken angesehen und dafür viel mehr als Chance. Ein schlechtes ESG-Rating heißt somit, dass die Branche hohen physischen Risiken und Transitionsrisiken ausgesetzt ist und zukünftig eine Transformation hin zu einem nachhaltigeren Wirtschaften bevorsteht. Dem hohen Risiko eines schlechten ESG-Ratings steht jedoch auch eine Chance gegenüber, die durch diese Transformation entsteht. Denn ein Wandel zu einem nachhaltigeren Wirtschaften bietet sowohl kurz- als auch langfristig Wachstumspotenzial für Unternehmen aus verschiedensten Branchen.