Der Ernteausfall der Ukraine führt auf den Weltagrarmärkten zu Verwerfungen und in Deutschland zu massiven Zusatzkosten bei den Betriebsmitteln
In der Ukraine werden von den 41,5 Millionen Hektar der verfügbaren landwirtschaftlichen Nutzfläche rund 32,8 Millionen Hektar für den Ackerbau verwendet. Neben der Größe der Flächen hängt die Ertragsmenge von der Qualität der Böden und den klimatischen Bedingungen ab. Die Ukraine verfügt in ihrem östlichen und zentralen Raum über ein Viertel der weltweiten Schwarzerden. Dieser sehr fruchtbare Bodentyp erstreckt sich laut dem National Investment Council of Ukrain über 42 % der Gesamtfläche. Negativ wirken sich hingegen die saisonalen Temperaturschwankungen und die im Vergleich zu Deutschland geringeren Niederschlagsmengen auf das Wachstum der jeweiligen Nutzpflanzen aus.
Insgesamt sind laut dem Deutsch-Ukrainischen Agrarpolitischen Dialog in der Ukraine rund 45.000 landwirtschaftliche Betriebe aktiv. Die Agrarstruktur fällt in der Ukraine deutlich größer aus als in Deutschland. So liegt der Zahl der Betriebe, die über 100 Hektar bewirtschaften, in Deutschland bei knapp unter 4.000, während sie in der Ukraine fast 15.000 beträgt. Zu den größten Betrieben zählen Agrarholdings, die auf einer Fläche von fast sechs Millionen Hektar rund 22 % der gesamten Agrarproduktion erwirtschaften. Im Jahr 2019 belief sich das Ernteaufkommen in der Ukraine laut Germany Trade and Invest auf 75 Millionen Tonnen an Getreide und Hülsenfrüchten, die auf insgesamt 15 Millionen Hektar angebaut wurden.
Die fünf größten Agrarholdings der Ukraine (nach bewirtschafteter Fläche):
- UkrLandFarming (605.000 Hektar – Getreide, Ölsaaten, Futtermittel, Tierhaltung)
- Kernel (603.000 Hektar – Getreide, Sonnenblumenöl, Milchkuhhaltung)
- Agroprosperis (430.000 Hektar – Getreide, Ölsaaten)
- MHP (370.000 Hektar – Getreide, Ölsaaten, Futtermittel, Tierhaltung)
- Astarta-Holding (250.000 Hektar – Zucker, Getreide, Ölsaaten, Tierhaltung, Biogas)
Im Jahr 2021 exportierte die Ukraine nach Einschätzung von S&P Global Market Intelligence über 27 Millionen Tonnen an Mais und mehr als 21 Millionen Tonnen an Weizen. Dies entspricht 12,8 % beziehungsweise 10,5 % des weltweiten Exportvolumens der jeweiligen Rohstoffgruppe. Zusätzlich spielen Ölsaaten mit fast vier Millionen Tonnen eine wichtige Rolle, da die Ukraine weltweit das wichtigste Anbauland für Sonnenblumen ist. Laut dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft erwirtschaftete der Agrarsektor im Jahr 2019 mit 22,2 Milliarden US-Dollar fast die Hälfte der gesamten ukrainischen Exporterlöse. Die wichtigsten Abnehmermärkte waren 2021 Asien mit 55,1 % und Afrika mit 40,7 % des exportierten Weizens.
Kriegsauswirkungen in der Ukraine
Am 24. Februar 2022 griffen 190.000 russische Soldaten auf einer Front, die sich von Weißrussland entlang der ukrainischen Ostgrenze bis an das Asowsche Meer erstreckte, an. Die russische Armee stieß dabei bis zu 200 Kilometer ins Inland vor, mit dem Ziel die Großstädte der Ukraine einzunehmen. Die russische Luftwaffe bombardierte zur Unterstützung der Bodenkräfte Teile der kritischen Infrastruktur wie Treibstofflager, Bahnhöfe und Lokomotiven. Im Schwarzen Meer riegelte die Schwarzmeerflotte die ukrainischen Häfen Odessa, Pivdennyi, Tschornomorsk, Cherson, Mariupol und Berdjansk ab, sodass der Export von Agrarprodukten effektiv unterbunden wurde. Ein Ausweichen auf den Schienenweg ist unrealistisch, da die Ukraine über eine andere Spurweite als ihre europäischen Nachbarstaaten verfügt und Millionen Tonnen Getreide nur mit einem enormen Zeit- und Arbeitsaufwand an der Grenze umgeladen werden könnten.
Neben den Kämpfen und deren Hinterlassenschaften wie Blindgängern, Land- und Seeminen leiden die ukrainischen Betriebe vor allem an einem Mangel an Betriebsmitteln. Es fehlt an Futtermitteln für die Tierhaltung, sodass Milchviehbetriebe hohe Verluste verzeichnen und an Treibstoff für die Maschinen zur Bodenbearbeitung und für Pflanzenschutzmaßnahmen und voraussichtlich auch für die Erntemaschinen, die im Sommer gebraucht werden. Laut dem Informationsdienst Agra Europe gibt es massive Logistikprobleme, sodass Dünger, Pflanzenschutzmittel und Saatgut die Landwirte nicht erreichen. Der ukrainische Agrarökonom Alex Lissitsa rechnet deshalb mit einem deutlichen Rückgang der Erntemengen, die gerade noch dazu ausreichen dürften, die eigene Bevölkerung zu versorgen.
Kriegsauswirkungen in Deutschland
Der Einmarsch der russischen Truppen in der Ukraine sorgte für einen starken Anstieg der Börsenkurse von Getreide und Ölsaaten. Innerhalb eines Tages stieg der Weizenpreis um 13 % auf 324,50 Euro pro Tonne an, während der Rapspreis um 6 % auf 776,25 Euro pro Tonne zulegte. Mit dem Ausfall der Ukraine als Produktionsstandort für Weizen dürfte auch der Erzeugerpreis für Weizen im aktuellen Jahr ansteigen, weshalb die Branche des Anbaus von Getreide und Ölsaaten höhere Umsätze erzielen dürfte. Da viele Landwirte allerdings einen Teil ihrer Ernte durch Vorkontrakte preislich abgesichert haben, können sie nur begrenzt vom steigenden Weizenpreis profitieren.
In der nachgelagerten Wertschöpfungskette stellt der Großhandel für Getreide das Bindeglied zwischen der Landwirtschaft und der Industrie dar. Er dürfte entweder von den abgeschlossenen Vorkontrakten profitieren oder die steigenden Weizenpreise an die größten Abnehmermärkte, wie an die Herstellung von Futtermitteln für Nutztiere, weitergeben. Dementsprechend dürften die Erzeugerpreise für Futtermittel im aktuellen Jahr stark ansteigen und zu zusätzlichen Kosten für die Milchkuhhaltung und die Schweinehaltung führen. Der nur leicht steigende Erzeugerpreis für Milch und der sinkende Erzeugerpreis für Schweinefleisch werden der Verteuerung der Futtermittel voraussichtlich nicht entgegenwirken können.
Im vorgelagerten Bereich kommt es zu einer Kostenexplosion beim Erzeugerpreis für Düngemittel wie Stickstoff, Kali und Phosphor, da ihre Herstellung sehr energieintensiv und deshalb abhängig vom Weltmarktpreis für Erdgas ist. Der Preis für Erdgas spielt auch eine wichtige Rolle für die Trocknung der 42 Millionen Tonnen Getreide, die notwendig ist, um es überhaupt lagern zu können. Verschärft wird die Situation dadurch, dass Russland als einer der weltgrößten Düngemittelproduzenten den Export unterbunden hat. Des Weiteren drohen deutschen Landmaschinenherstellern, wie Ropa in der Ukraine oder Grimme in Russland, hohe Umsatzeinbußen durch Kriegsauswirkungen beziehungsweise Sanktionen. Laut Svein Tore Holsether, dem Präsidenten und CEO des norwegischen Düngemittelherstellers Yara International, dürften die weltweiten Auswirkungen des Ukraine-Krieges sogar noch gravierender ausfallen:
„Die Hälfte der Weltbevölkerung ernährt sich mit Hilfe von Düngemitteln. Wenn dieser Dünger nicht aufs Feld gelangt, wird der Ertrag um bis zu 50 % sinken […] und zu einer globalen Ernährungskrise führen.“